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XIV. Prague
Industrial Festival (11. und 12. Dezember 2009, Prostor Pilot, Prag)
2008 fand in Prag wie immer
das jahresendliche Industrial Festival statt, doch leider drang die Information
darüber nicht durch. Auch in diesem Jahr war die Informationskette
sehr löchrig. Werbetechnisch alles andere als ideal, doch dies und
das fehlende Highlight im Billing waren jedoch kein Grund, nicht in die
tschechische Hauptstadt zu fahren. Vor Ort lief dann alles wieder mit
der landestypischen Verspätung aber ansonsten komplett reibungsfrei
ab. Als Location wurde diesmal das "Pilot", ein altes Kino,
mittlerweile ohne eingebaute Sitzreihen, gewählt. Von außen
hätte man solch einen riesigen unterirdischen Raum kaum erwarten
können, demzufolge war ich einigermaßen überrascht beim
ersten Blick in den Raum. Wie sich später herausstellte, war auch
die Akustik im Pilot sehr gut, zudem war zum Teil trotz erheblicher Lautstärke
draußen eigentlich nichts zu vernehmen. Lustig waren die von mir
für die Betreiber der Lokalität angesehenen Personen, die alle
aus dem Halblichtmilieu zu entstammen schienen. In Prag weiß man
irgendwie nie, woran man in der Beziehung wirklich ist. Am besten, man
hat immer Einheimische um sich, die können das dann richtig einschätzen.
Wie auch immer - ich hab in Prag schon einige schräge Orte erlebt,
bin aber noch nie beklaut oder gar überfallen wurden. Wahrscheinlich
ist alles immer halb so schlimm, wie man als "guter Deutscher"
glaubt. Nicht vergessen sollte man allerdings, dass die tschechische Hauptstadt
in Punkto Drogen und Prostitution in Europa zur ersten Liga gehört
- mit anderen Worten: allzu leichtsinnig zu sein, kann schmerzhaft enden.
Genug aber der Vorrede - kommen wir zum Festival.
Freitag
Den Abend eröffneten STUPOR,
zwei polnisch-deutsche Künstler, die sich einem sehr eindringlichen
Ambient verschrieben haben. Während des großartigen Liveauftrittes
kombinierten die beiden Sounds aus Rechner und Korg mit live eingespielter
Bassgitarre. Zeitweise ließen Stupor dabei den Ambient hinter sich
und ballerten volle Breitseiten Beats und Noise auf das Publikum. Echter
Gehirnfasching, der Dank der fortschreitenden Intoxikation von durchschlagender
Wirkung war.
Im Fortgang des Abends bemühten wir uns, die Running Order zu entschlüsseln,
die wir dann vermittels Kreidebeschriftung auf der Saaltür den Anwesenden
kundtaten. Dies war ein weiteres Manko der sehr Hippiesken Organisation
- als Veranstalter muss man einfach irgendwann den Ablauf festlegen und
sich nicht darauf verlassen, dass sich alles schon ordnen wird. Aber so
wie wir unsere tschechischen Freunde kennen, wird sich das wohl nicht
mehr ändern :-)
An die Musik von ROXOR
vermag ich mich nicht mehr so recht erinnern, nur dass das Ganze reichlich
schräg und gar mit gelegentlichen HipHop-Einlagen war. Auf jeden
Fall mal was ganz anderes, wenn es sicherlich für Rezeption des Künstlerkollektivs
von Vorteil gewesen wäre, die reichlich dargebotenen Texte zu verstehen.
Industrial meets Jazz meets HipHop & whatever. Auf jeden Fall sehr
originell und kurzweilig, wenn auch nicht das, was ich persönlich
so höre.
Es folgte die slowakischen K.I.F.O.T.H.,
die ihre Inspiration ganz eindeutig aus der amerikanischen Spielart des
Industrial beziehen; hier wären u.a. Nine Inch Nails, Ministry oder
Skinny Puppy als Bezugspunkte zu nennen. Gemischt wird dieser Einfluss
mit kontinentalem Electrosound. Live ordentlich druckvoll aber einfach
nicht mein Ding.
Selbiges kann man von SCHLOSS
TEGAL nicht behaupten. Richard Schneider präsentierte im Alleingang
die ultradüsteren Klanglandschaften, wie immer mit einer gehörigen
Portion Wahnsinn im Antlitz. Begleitet wurde "Dr. Schneider"
von einer Videoperformerin - Vanessa
- die die passenden Bilder
zum Soundinferno zauberte. Über weite Strecken hatte ich allerdings
das Gefühl, das meiste schon gesehen zu haben.
Die Überraschung des Abends war dann das französische Einmann-Projekt
NOCTURNE. Der arabisch-stämmige Künstler passte in seiner Uniform
und mit seinem links-propagandistischen Videos im Hintergrund so überhaupt
nicht in das Bild der White Power Musik, die sich Manche Zeitgenossen
vom Industrial machen und das war auch absolut gut so. Meine persönliche
Abarbeitung an dem Thema ging mit der Zerstörung eines braunen mit
"NP" beschrifteten Plakates einher, das allerdings keine "nationale"
Partei bewarb, sondern einen "Neuen Platz", genauer gesagt,
eine Kultureinrichtung warb. Ja, so kann man sich irren. Die Anwesenden
schauten zwar etwas verwirrt, ließen mich in meinem Furor aber gewähren.
Bestimmt gibt's jetzt irgendwelche Videos im Internet
Um noch einmal auf NOCTURNE
zurückzukommen: Die erwiesen sich live als wesentlich druckvoller
als auf Tonträger, auch wenn der Großteil des Sounds aus dem
Computer kam und vom Künstler nur die Texte vorgetragen wurden.
Der Heimweg war dann mehr als lustig, mussten wir doch durch ein Amüsierviertel
mit Angeboten an jeder Ecke. Einer unserer Begleiter musste dann unbedingt
in eine zwielichtige Bar gehen, woraufhin er gleich irgendwen am Hintern
kleben hatte. Letztendlich gelang es der ihn begleitenden Damen ihn zu
erretten. Irgendwie schafften wir es noch in unsere Jugendherberge im
Stadtzentrum. Während ich mich ins Bett begab, ging der Rest noch
irgendwohin bechern. Dafür war ich am nächsten Morgen schon
wieder unterwegs und traf mich gegen Mittag mit Freunden. Wir verbrachten
auf sehr angenehme Art den konzertfreien Rest des Tages mit leckerem vegetarischem
Essen, Café-Besuchen, den ersten alkoholischen Getränken und
einem angenehmen Abendessen. Rechtzeitig zur Show waren wir dann wieder
fit und vor Ort.
Samstag
Zag zwei begann mit dem Auftritt des französisch-belgischen Duos
TZOLK'IN,
bestehend aus Gwenn Trémorin von Flint Glass und Nicolas Van Meirhaeghe
von Empusae. Während ich mit Flint Glass nichts anfangen kann, finde
ich Empusae ganz gut, was auch wesentlich mit der deutlich sichtbaren
Begeisterung Van Meirhaeghes zusammenhängt. Der Belgier, den ich
auch im Backstage erleben durfte, ist eine wirklich angenehme Persönlichkeit,
wären Trémorin eher der zurückhaltende, stille Typ ist.
Die musikalische Kombination dieser beiden Charaktere lässt in Form
von Tzolk'In einen recht abwechslungsreichen, rhythmusbasierten Hybriden,
der sich von vielen ähnlichen Projekten durch hohe atmosphärische
Dichte abhebt. Weiterhin bemerkenswert und auch optisch von Vorteil war
die Tatsache, dass ein Teil der Beats Dank Live-Drumming entstanden. Hierbei
konnte der Empusae-Mastermind richtig aus sich rausgehen. Apropos aus
sich herausgehen: Eine junge Frau demonstrierte passend zur rhythmischen
Musik ihre circensischen Fähigkeiten. Ob das geplant oder spontan
war - keine Ahnung, auf jeden Fall war es gut anzusehen.
Ob ROVAR17
gespielt haben, weiß ich beim besten Willen nicht zu sagen. Weder
habe ich Bilder von ihrem Auftritt auf meiner Kamera noch in meinem Kopf.
Wenn ich mir den Sound auf MySpace anhöre, so ist das ein bisschen
schade, denn die Ungaren kombinieren sehr düsteren Ambient mit fast
schon primitiv-mystischen Sounds, so dass man sich wie bei einem Kult
in grauer Vorzeit vorkommt.
Als nächstes betraten F.Y.D.
die Bühne, wobei das nicht der richtige Ausdruck ist. Erstürmten
wäre wohl passender. Atari Teenage Riot wären angsterfüllt
weggerannt. Den einen Musiker, genauer gesagt Arnaud Coeffic hatte ich
schon als Chrysalide und Sonic Area gesehen, hier mit F.Y.D. lässt
der Kollege den Punk raus. Genauer gesagt sein Kollege Nicolas Grasser,
der wie ein Berserker über die Bühne wütete, scheinbar
ohne jemals an Energie zu verlieren. Ein echtes Tier(!) und ein Klasse
Auftritt, der zumindest ein wenig Bewegung ins Publikum brachte. Reichlich
schräg war der Auftritt einer Dame, die sich auf der Bühne maßregeln
ließ.
Im Anschluss spielten die nach diesem Ausbruch etwas statisch wirkenden
COPH-NIA,
da half auch der lustige kleine Live-Drummer nicht, den ich insgeheim
Luftwaffenhelfer-Lustknabe taufte. Sah in seinem Bemühen um Martialität
ein bissel strange hinter dem immer sehr "evil" wirkenden Mikael
Alden aus. Aber die Musik von Coph Nia ist schon geil, ganz besonders
die großartigen Cover-Versionen, die immer ein wenig an Laibach
denken lassen. Selbstverständlich durfte auch der Coph Nia-Hit "Holy
War" nicht fehlen.
Die abschließenden DAPNOM
waren dann noch eine Portion ruhiger, was der Stimmung zu so später
Stunde alles andere als zuträglich war. Den dunklen Mann mit Kapuze
und Gasmaske zu betrachten brachte auch keine zusätzlichen Punkte,
weshalb wir von der Show nicht allzu viel mitbekamen und uns lieber an
diesem Abend an der Bar den Rest gaben. Keine Ahnung, mehr, wie ich nach
Hause gekommen bin. Soweit meine Erinnerung reicht bin ich straffen Schrittes
wie eine Man-Machine zur Unterkunft gezuckelt, ohne mich vom Weg ablenken
zu lassen. Am nächsten Morgen setzte ich mich dann wieder in den
Zug nach Hause, immer bemüht, so viel wie möglich Geschehnisse
des Vortages zu rekapitulieren. Was mir im Großen und Ganzen eigentlich
ganz gut gelungen ist, oder?
Fazit: Wieder mal ein schönes
Prag-Festival, wenn auch ohne die ganz großen Namen. Nur schade,
dass die Organisatoren das werbetechnisch so "verkackt" haben.
Die alte Website funktionierte nicht mehr, die MySpace-Seite ist bis heute
nicht aktualisiert und von Flyern war weit und breit nichts zu sehen.
Trotzdem waren die beiden Abende einigermaßen gut besucht. Insofern
war ich auch nicht allzu traurig, da zu volle Locations auch nicht optimal
sind.
Bilder
bei MySpace
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