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Nach diesem
Schlag in die Magengrube - schließlich hatte ich für diesen elitären Mist
sowohl Raison D'Etre als auch Cassandra Complex verpasst - musste ich
erstmal auf den Zeltplatz KRAFT tanken gehen. Nachdem dies ausgiebig geschehen
war, fand ich mich in der Agra-Halle ein, gerade rechtzeitig um nichts
mehr von 18 Summers mitzubekommen. Bei The Mission
stand ich dann wieder direkt im Fotograben und konnte seiner Heiligkeit
Wayne Hussey direkt ins Antlitz blicken. Wie üblich flog die ganze Journalistenchose
nach dem dritten Song wieder aus dem Graben und so schaute ich mir den
"Rest" des Konzertes von weiter hinten an. Da ich Mission sehr liebe,
war ich recht sauer darüber, dass sich neben mir zwei Chicksen lautstark
über irgendwelchen Mist unterhielten. Ich textete die beiden auf übelste
Weise zu und konnte dann endlich das Konzert genießen. "Like A Hurrican",
"Tower Of Strength", "Butterfly On A Wheel", aber auch "(Slave To The)
Lust" - The Mission ließen keinen alten oder neuen Hit aus. Wayne Hussey
und seinen Mannen war der Spaß am Spiel anzusehen und spätestens nachdem
die zweite Flasche Rotwein geleert war, konnte man die Stimmung als ausgelassen
bezeichnen (Sorry, war eine kleine Übertreibung!). Am Ende hatte ich den
Ärger im Völkerschlachtdenkmal vergessen und freute mich nur noch über
das gute Konzert. Scheiß Neofuck! Als Hussey und Co. dann die Bühne verließen,
zog es mich zum Bierstand, wo ich einen recht interessanten Menschen kennen
lernte, der so etwa 55 Jahre auf dem Buckel hatte und sich unter den ganzen
Gruftis sichtlich wohl fühlte. Die angeregte Diskussion verhinderte, dass
ich allzu viel vom Konzert der Goethes Erben
mitbekam. Als ich dann endlich den doch etwas geschwätzigen älteren Herrn
abschütteln konnte, hatte Oswald schon den Großteil seines Programms hinter
sich gebracht und spielte fast nur noch alte Schinken, wie "Iphigenie",
"Fünf Jahre" und ähnliche Kaliber. Manchem mag es peinlich sein, mir jedoch
nicht: Ich gebe zu, dass ich mal sehr viel Goethes Erben gehört habe und
ich bin immer noch überzeugt, dass Oswald Henke einer der wichtigsten
Denker in der Szene ist. Mit anderen Worten: ich hatte viel Spaß am Rest
des Konzertes und hörte mit ein wenig Bedauern, dass die Erben in nächster
Zeit nicht mehr so oft auf der Bühne stehen werden. Schade! Weiter ging
es dann in Halle 4.3 (oder so ähnlich) mit viel lauter Disko-Musik und
noch mehr Bier. Als ich dann genug hatte, trollte ich mich in Richtung
Zeltplatz. (Entgegen anders lautender Gerüchte versagte mir mein Körper
nicht den Dienst und ich schlief auch nirgendwo anders meinen Rausch aus,
als ein ganzes Stück später in meinem Zelt). Auf dem Weg zu selbigem begegnete
ich einem guten Bekannten und wir entschieden uns, über den Zeltplatz
zu streifen und noch irgendwo etwas Trinkbares abzufassen. Das gelang
uns dann auch bei einer Ansammlung Bayrischer Schwarzer, die ihr Bier
infolge des strengen Glasverbotes in Plasteschläuche umgefüllt hatten.
Geschmeckt hat die Brühe zwar nicht, aber dafür hatten wir eine Menge
Spaß. Gegen sieben legte ich die wenigen Meter zu meinem Zelt in bestechender
Form zurück und schlüpfte unter Verzicht auf alle hygienischen Maßnahmen
in den Schlafsack.
Montag gegen
zwölf Uhr erwachte ich infolge der durch die prasselnde Sonne verursachten
Hitze in meinem Zelt. Da ich meine Heimreise im Auto eines Freundes antreten
wollte, musste ich jetzt relativ schnell handeln. Nach Behebung der schlimmsten
Schäden im Waschcontainer packte ich schnell mein Zelt zusammen und suchte
meinen Fahrer, was mir auch erstaunlich gut gelang. Dann übermannte mich
der Hunger und ich aß ein grausam fettiges Gyros. Unter der Lichteinstrahlung
führte dieses in der Kombination mit dem am Vortag genossenen Alkohol
zu einer zunehmenden Verschlechterung meines Zustandes. Zum Glück brachen
wir nach nicht allzu langer Zeit zum Haus Auensee auf, denn dort stand
heute Industrial auf dem Programm. Um es kurz zu machen: Wir konsumierten
das volle Programm Krach, von Mono No Aware bis
Winterkälte. Dass sich der Sound der einzelnen Projekte nicht so
wahnsinnig unterschied, war eigentlich nicht schlimm. Hervorheben lässt
sich eigentlich keine Band, wussten doch alle mit treibenden Beats und
jeder Menge Energie die erstaunlicherweise sehr große Anzahl an Fans zum
Ausrasten zu bringen. Negativ aufgefallen ist mir nur das Publikum bei
Sonar, wo einige Prolls sehr aggressiv zu
Werke gingen. Laut Plan war nirgends EBM - das mag die Sache erklären.
Dirk Ivens auf jeden Fall ließ sich davon nicht stören und rockte wie
ein Besessener hinter seinen Maschinen. Leider konnte ich nicht so recht
mitrocken, da mein Gleichgewichtssinn noch mächtig zu wünschen übrig ließ
und ich mich auch sonst noch eher nach Wasser als nach Bier fühlte. Nach
fast zehn Stunden rhythmischen Krachs traten wir dann die sehr beschwingte
Heimreise an, mit der die WGT-Experience für dieses Jahr endete.
Fazit:
Solange es
Geldbeutel und Leber erlauben, wird das WGT sicher auch weiterhin zu den
Fixpunkten meines Szenelebens gehören. Seit dem 2000er Zusammenbruch ist
das Ganze wesentlich professioneller geworden (vor allem in Bezug auf
die Planung / Anfangszeiten), damit aber auch ein ganzes Stück teurer.
Besonders im Bereich Getränke und Essen haben die Gewerbetreibenden heftig
zugeschlagen. Obsorge- und Parkkarte reißen weitere tiefe Löcher in die
Börsen der zeltenden Gothic-Gemeinde. Bezahl-WCs und Duschen hinterlassen
ebenfalls ihre Spuren. Organisatorisch lief alles soweit im Rahmen gesittet
ab, auch wenn einzelnen Security-Leuten eine Einweisung sicher gut getan
hätte. Wenn jeder etwas anderes erzählt, entsteht im Allgemeinen nur Verwirrung.
Mit der Freundlichkeit sah es dieses Jahr etwas besser aus, obwohl sicher
die wenigstens Festivalbesucher Lust hatten, sich mit den meist glatzköpfigen
Security-Büffeln auf tiefgründigere Diskussionen einzulassen. Die Auswahl
an Bands war im Gegensatz zu früheren Befürchtungen alles andere als schlecht,
auch wenn die eine oder andere Teenie-Gothic-Band ihr Unwesen in Leipzig
trieb (Funken Vogt, Unscheinheilig oder Illuminator). Wer wollte konnte
sich auch eine Menge interessanter Projekte anschauen, die Auswahl war
ja riesig. Das Publikum selbst war bunt gemischt. Bestimmte Trends, wie
Halbnackt-SM oder Mittelalterpomeranze ließen sich dieses Jahr nicht fest
machen. Irgendwie ist eine gewisse Resignation eingezogen, die sich in
den Worten zusammenfassen lässt: "Wie kann ich nur auffallen." Glanzpunkt
dieser Entwicklung war für mich ein junger Mann, der einen Kermit auf
seiner Schulter trug. Na wenigstens sein Ziel hat er erreicht - es gab
niemanden, der sich nicht an ihn erinnern konnte. Auf meine Frage allerdings,
warum er eigentlich auffallen müsse, wusste er keine Antwort. Ein wenig
symptomatisch scheint das für die ganze Szene zu sein. Die Inhalte verschwinden
immer mehr zugunsten des Images. Vermutlich wird die "Bewegung" nicht
mehr lange wachsen, sondern stetig wieder in sich zusammensinken. Schlecht
wäre das nicht unbedingt. Dann haben alle wieder mehr Freiraum für ihr
Zelt und beim Duschen muss auch niemand mehr lange anstehen. Ist doch
toll, oder?
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