IO - Disorder (CD, Fnord Production)

Seltsam. Vom letzten Durchhören habe ich die CD ganz anders in Erinnerung. Mehr so Richtung Atari Teenage Riot. Jetzt höre ich mir den Tonträger viele Wochen später an und von Digital Hardcore ist nicht mehr viel geblieben. Hat irgendjemand die CD ausgetauscht? Wo habe ich nur die für das Berliner Label so typischen Totschlagsbeats gehört? Sehr eigenartig. Beim wiederholten Genuss ist alles wesentlich ambienter, der Rhythmus tritt, obwohl vorhanden gegenüber dem stimmungserzeugenden angenoisten Sound der Fläche zurück. Wie auch immer, positiv anzumerken ist: IO erfüllen nicht irgendwelche Erwartungshaltungen und vermeiden so Langeweile. Auch die Tanzbarkeit, die ich vor erneutem Genuss ohne viel nachzudenken bestätigt hätte, kann ich nur noch bei "Bunker" und "Ernstfall" entdecken. Die restlichen Stücke sind im Tempo doch deutlich reduziert. Das ist wirklich strange und ich komme mir vor, als wenn ich die CD zum ersten Mal höre. Ein kurzer Ausflug zu myspace bestätigt mir allerdings, dass ich doch nicht ganz so falsch lag. Da geht es dann doch ein wenig heftiger zur Sache.
Die CD enthält insgesamt doch mehr "ruhigere", atmosphärische Stücke. Besonders gut gefällt mir daran Claudias sexy Stimme, die hervorragend zum männlich-brutalem Vokalpart von Hendrik in Kontrast steht. Das gibt dem Projekt etwas Unverwechselbares.
Ein allgemeiner Kritikpunkt vielleicht noch, der nun, da es mir auffällt, gerade IO trifft: Mir scheint, dass ein grundlegendes kompositorisches Prinzip im Bereich der experimentellen elektronischen Musik kaum noch eine Rolle spielt. Ein Stück sollte meiner Meinung nach ein Anfang, einen Höhepunkt und ein Ende haben oder anders ausgedrückt einen Spannungsbogen. Davon ist bei vielen Veröffentlichungen nur noch selten etwas zu merken. Stattdessen wird häufig von Anfang bis Ende auf einem Level durchgezogen. Auch IO sind nicht frei von diesem Mangel aber wie gesagt, dass ist nicht typisch...
Nach einigem Experimentieren habe ich herausbekommen, warum sich meine Wahrnehmung so verschoben hat: Der Unterschied entsteht durch die Verwendung von Kopfhören im Vergleich zum Abspielen über die Anlage. Bei letzterem treten die Beats und Bassfrequenzen deutlich in den Vordergrund und kleistern die Stimme regelrecht zu. Was insbesondere bei "Tesseract" ein echter Verlust ist. Keine Ahnung, ob sich das durch ein anderes Mixing abstellen lässt…

Titel:
1. Bunker
2. HumanVirus
3. Ernstfall
4. Tesseract
5. Disorder
6. Superspreader


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