V.A. - Walking In The Rain On The Ostrow Tumski (CD, Ars Benevola Mater)

Ostrow Tumski, die Dominsel ist einer der ältesten Teile der polnischen Stadt Wroclaw, früher auch als Breslau bekannt. In ebenjener Stadt findet seit einigen Jahren ein sehr schönes Industrialfestival statt, die auf dieser CD vertretenen Künstler traten bei der vierten Ausgabe des Events im Dezember 2005 in der schlesischen Stadt auf.

Schon ein Blick auf die Titelliste verrät, dass in Wroclaw der Terminus "Industrial" sehr weit ausgelegt wird und einen deutlichen Hang in Richtung Neofolk hat. Mit Allerseelen und Sol Invictus sind gleich zwei der Größen des Genres vertreten. Auch die restlichen Künstler gehören nicht zur hierzulande so typische Boing-Bum-Tschak-Fraktion sondern stehen vielmehr für eine ambiente bis symphonische Auslegung des Industrial-Begriffs.

Beim ersten Durchhören dieses Samplers bleibt ehrlich gesagt nicht viel hängen. Aus der Reihe fallen Allerseelens seltsam sperriger Pop, Tony Wakefords Klagelied und das technoide "MVe5_Wroc" von Lagowski. Nicht zu vergessen die finster-slawischen Tabor Radosti, die stets durch die für unsere Ohren gewöhnungsbedürftigen Sprache Eindruck hinterlassen.

Genauer betrachtet liefern Leiche Rustikal ein wenig aufregendes Stück Ambient mit klassischem Einschlag jedoch ohne große Höhepunkte ab. Ganz nett aber trotz des rituellen Einschlags ohne Langzeitwirkung. Oxyds Beitrag reißt eine Menge verschiedener Sounds an, formuliert aber nichts zu Ende. Der Abbruch mitten im gregorianischen Gesang wirkt sehr seltsam. Vermutlich handelt es sich um ein Intro für ein längeres Werk. Zu Allerseelen muss man sicher nicht viel sagen. Seit einigen Jahren ist Kadmons Projekt ein Garant für sehr,s ehr schräge Popmusik mit dem typischen Sprechgesang des Österreichers. Die Texte sind immer hochliterarisch und nicht selten skurril. Schwer einzusortieren und wohl eher was für Liebhaber als für Zufallsbekanntschaften. Troums Stück ist sehr zurückhaltend und nachgerade traumhaft, Musik zum Fallen lassen. Viel passiert nicht, über einer Geräuschkulisse entwickeln sich einige Drones sehr, sehr langsam. Job Karmas Charakteristikum ist eine ganz spezielle, fließende Synthesizermusik. Dem vorliegenden Stück fehlt mit den dünnen elektronischen Violinen ein wenig die Kraft sonstiger Titel, die verstörenden Samples tragen zudem nicht gerade zum Wohlklang bei. Zu Sol Invictus gibt es nicht viel zu sagen. Da Tony Wakeford die Vielfalt nicht gerade erfunden hat, gibt es nur zwei Einstellungen dazu: Entweder man mag ihre Musik - wie ich das tue - oder halt nicht.
Wie bereits erwähnt liefert Herr Lagowski einen ziemlich straighten Techno ab, der sicher bei manchem Rave gern willkommen wär. Das Stück erinnert mich ein wenig an Sharnk!'s "Acid Creep" auf dem "Threat The Gods As If They Exist"-Sampler.
Tabor Radosti haben auch ihren ganz eigenen Stil, von dem sie kaum abweichen: Vollelektronische Klangerzeugung, mystische Atmosphären, dunkler Sprechgesang, dezente Beats. Insofern ist bildet auch das hier veröffentlichte Stück keine Ausnahme. Als Appetitmacher für alle, die die Tschechen noch nicht kennen aber OK. Die beiden letzten Stücke kommen dann eher etwas entrückt-esoterisch daher. Herbst 9 haben ein konstantes Loop im Hintergrund und schichten dezente Chöre, darüber Streicher, reversed sounds, Klanghölzer und dazu spricht eine Frau mit abwesender Stimme einen finsteren Text. Sehr hypnotisch das Ganze. Etwas schräg klingt dagegen Hati vs. Z'EVs "Layering Of The Elements", stellenweise fast schon jazzig. Ein Klang wie von Alphörnern, dazu ein sparsam eingesetzter Gong und immer wieder an Schreie erinnernde Blasinstrumente, so wie man sie aus Filmen über die Frühzeit der Menschheit kennt. Hinzu kommen noch seltsame Knattergeräusche und andere schwer identifizierbare Sounds. Dadurch entsteht ein gewisser Gruselfaktor, der so gar nicht zum weichgespülten Esoterikverständnis passen will. Sehr gewöhnungsbedürftig dieser Sound.
Fazit: Sehr schöner Überblick über das 2005er Programm des Wroclawer Festivals, wenn auch ohne DAS Highlight.


Titel:
1. Leiche Rustikal - Fields Of Forgotten 3
2. Oxyd - Atria
3. Allerseelen - Mit Der Sonne
4. Troum - Donisis
5. Job Karma - Talk With Daddy
6. Sol Invictus - The Blackleg Miner
7. Lagowski - MVe5_Wroc
8. Tábor Radosti - Cas Uderu
9. Herbst9 - Bloodwhisper 2 Pass The Gate
10. Hati vs. Z'EV - Layering Of The Elements


zurück        nach oben